Gastbeitrag

Veröffentlicht in: Hochparterre

Eine Internetfirma will sich Wandelbarkeit auf die Fahne schreiben. Alain Leclerc von Bonin hat ein passendes Corporate Design erfunden. Es verÀndert sich laufend.

Wir sind so und werden es immer bleiben, verspricht das Erscheinungsbild vieler Firmen auf Plakaten, Briefschaften und im Internet. Die Aussage soll Vertrauen schaffen, birgt aber ein Risiko. Will sich die Firma neu ausrichten, kehrt sich das Versprechen ins Gegenteil: Die Kunden werden enttĂ€uscht, wenn das vermittelte Bild nicht mehr der RealitĂ€t entspricht. Um glaubwĂŒrdig zu bleiben, ist das Unternehmen gezwungen, alle paar Jahre in einen neuen Auftritt zu investieren.

In der IT-Branche ist schneller Wandel der Normalfall. Wer sich hier behaupten will, muss sich laufend auf neue Situationen einstellen. Wie also soll eine Internetfirma auftreten, die sich Wandelbarkeit auf die Fahne geschrieben hat? Der Designer Alain Leclerc von Bonin gibt mit dem Erscheinungsbild fĂŒr die Firma Liip eine Antwort: Es muss dynamisch und flexibel sein. Mittel zum Zweck sind die Daten, die das Unternehmen jeden Tag produziert: Wie viele Mitarbeitende sind mit dem Fahrrad zur Arbeit gekommen, wie viele Tassen Kaffee trinkt die Entwicklungsabteilung, wie viele Zeilen Code bearbeiten die Programmierer? Der Designer verwendet diese Daten und integriert sie in Echtzeit. Der Firmenauftritt verĂ€ndert sich laufend und bleibt somit aktuell.

FĂŒr ein technisch versiertes Unternehmen ist es ein Leichtes, diese Daten zu sammeln. Gleichzeitig war Liip bereit, neue Wege zu gehen. «Wir brauchten einen Auftritt, der uns aus der technischen Ecke rausholt», erklĂ€rt Philipp Egli Jung, der bei Liip fĂŒr Marketing und Kommunikation zustĂ€ndig ist. «Er muss zeigen, dass wir beweglich sind und weiterdenken.» Das neue Erscheinungsbild teilt den Kunden also nicht mit â€čWir sind so fĂŒr immerâ€ș, sondern â€čWir sind jetzt gerade soâ€ș. «Die Verwendung der Daten in Echtzeit steht fĂŒr die ObjektivitĂ€t und die Ehrlichkeit, mit der Liip kommunizieren will», bestĂ€tigt Leclerc von Bonin.

Die zentralen Designelemente

Das Erscheinungsbild oder Corporate Design (CD) legt die visuelle IdentitĂ€t einer Firma fest. Die gestalterischen Vorgaben mĂŒssen in den unterschiedlichsten Medien funktionieren: auf der Website, in den sozialen Netzwerken, fĂŒr PrĂ€sentationen, fĂŒr Briefschaften, als Projektion auf den BĂŒrowĂ€nden oder auf mobilen KommunikationstrĂ€gern. Als zentrales Designelement definierte Leclerc von Bonin einen Vierzeiler. Jede Zeile enthĂ€lt eine Zahl, ein Symbol und einen Begriff. Der wichtigste kommt zuerst und in maximaler Schriftgrösse. Die weniger wichtigen folgen kleiner geschrieben. Die Elemente werden mit Fotografien unterlegt. Ein Beispiel: Die Daten, die zeigen, wie viele Mitarbeitende in den verschiedenen Niederlassungen mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, werden mit einem Bild der Velos im Eingangsbereich eines der BĂŒros hinterlegt und stehen so fĂŒr das Thema â€čNachhaltigkeitâ€ș. Oder: Die Anzahl konsumierter Kaffees kombiniert mit der Anzahl dringlicher Aufgaben und der Anzahl aktueller Projekte macht klar, wie viel Betrieb gerade herrscht.

«Die Kombination aus Bild und Echtzeitdaten sagt dem Betrachter: Das passiert heute bei Liip», erklĂ€rt der Designer die Idee und betont die FlexibilitĂ€t des Konzepts: «Daten und Fotos können einfach geĂ€ndert und der Entwicklung der Firma angepasst werden.» FĂŒr die Bebilderung stehen zwei Sammlungen zur VerfĂŒgung. Die eine richtet sich an die GeschĂ€ftskunden und illustriert die Arbeitswelt des Unternehmens. Die zweite muss Programmierer und â€čTechiesâ€ș ansprechen. Sie wird aus Flickr-Fotos der Mitarbeitenden gespiesen und gibt einen Einblick hinter die Kulissen.

Themen wie Open Data oder E-Learning sind abstrakt und schwierig zu bebildern. DafĂŒr hat der Designer ein Muster als Hintergrund entworfen. Es besteht aus schrĂ€ggestellten Kacheln – abgeleitet vom SchrĂ€gstrich im Firmenlogo – in verschiedenen GrĂŒntönen. Die Schraffur hat einen ganz praktischen Effekt: Auf gedruckten Briefschaften vertuscht sie Farbabweichungen auf unterschiedlichen Papieren und erspart so eine mĂŒhsame Kalibrierung. Um einfach neue Muster herzustellen, hat der Designer einen â€čGeneratorâ€ș programmiert: Das kleine Programm wandelt beliebige Bilder um, egal wie schlecht aufgelöst diese sind. Bildrechtliche Probleme entfallen aufgrund der Verfremdung. Alle Resultate verwenden automatisch die festgelegten Farben. «Normalerweise schrĂ€nkt ein CD die Möglichkeiten der Gestaltung ein. Der Generator erweitert sie», erklĂ€rt Leclerc von Bonin.

EFFIZIENZ DURCH AUTOMATION

Vorgefertigtes Briefpapier gibt es bei Liip nicht mehr. Offerten oder VertrĂ€ge können direkt aus einem Firmen- Wiki heraus generiert werden und sind automatisch nach den gestalterischen Regeln formatiert. Die Automation macht die Anwendung effizienter. So einfach wie im Fall der Briefschaften geht das jedoch nicht immer. Aktuelle Themen benötigen neue Daten und Bilder. Um diese CD- konform zusammenzustellen, ist auch der Designer gefragt. Zusammen mit Liips Marketingabteilung erarbeitet er ein Set von Datenbildern, das dann etwa fĂŒr die Bebilderung der Website verwendet wird.

Wie die Belegschaft das neue Erscheinungsbild annimmt, entscheidet ĂŒber den Erfolg des Projekts. Nur wenn sie sich damit wohlfĂŒhlt, ist es effizient. Um die Anwendung zu erleichtern, hat Leclerc von Bonin Designrichtlinien und eine Gebrauchsanweisung formuliert. Sie setzen Leitplanken, aber keine fixen Regeln. «Weil das Corporate Design offen ist, muss ich als Designer nicht den Polizisten spielen», hĂ€lt er fest. Die Gebrauchsanweisung kommt in Form eines Flussdiagramms daher: â€čAnwendung unklar? – Frage einen Liip-Designer – Done!â€ș – â€čAnwendung fĂŒr den Liip-Designer unklar? – Frage Alain Leclerc von Bonin – Done!â€ș

Auf Kundenseite zeigt man sich mit dem Ergebnis zufrieden. Philipp Egli Jung verweist auf die gute Zusammenarbeit zwischen den internen und dem externem Designer. «FĂŒr unser wichtigstes Medium, die Website, hat Alain Leclerc von Bonin ein Vokabular vorgegeben, mit Hilfe dessen unsere Designer die Website programmierten.» Die Gebrauchsanweisung erlaubte es den Mitarbeitenden ebenso, die Gestaltung der Liip-Niederlassung in St. Gallen selbst umzusetzen. «Dass das CD dynamisch ist, bedeutet auch, dass es immer eine Lösung gibt», hĂ€lt Egli Jung fest. Die Effizienz in der Anwendung hat noch einen anderen Grund. Liip hat es mit der FlexibilitĂ€t nicht ĂŒber- trieben. Die Echtzeitdaten kommen nur dort zum Einsatz, wo die Firma ĂŒber sich selbst kommuniziert. Ein Teil der Prozesse, wie im Fall der oben erwĂ€hnten Briefschaften, ist vollstĂ€ndig automatisiert. «Dynamisch und statisch, beides muss möglich sein», sagt Leclerc von Bonin.

NEUE KANÄLE BRINGEN NEUE PROZESSE

«IdentitĂ€ten von Firmen werden nur deshalb als statische Konzepte wahrgenommen, weil es bis vor zehn Jahren nur mit statischen Prozessen möglich war, ein Erscheinungsbild zu gestalten», erklĂ€rt Leclerc von Bonin. Ein fĂŒr Printmedien ausgelegtes Design bringt fixe AblĂ€ufe mit sich. Das Produkt muss auf einen bestimmten Termin hin druckfertig sein. Diese Zeiten seien vorbei, meint Leclerc von Bonin. Auch weil die Kunden und die Öffentlichkeit anspruchsvoller geworden seien: «â€čDu musst auf mich eingehen, sonst rede ich nicht mit dir», entgegnen sie den Unternehmen.» Ein Corporate Design muss also fĂ€hig sein, sich dem Kontext anzupassen. Der Designer weist auf die sozialen Medien mit ihren neuen KanĂ€len hin, auf die sich die Kommunikation aufsplittert: «Mit einem statischen CD kommt man da nirgends hin.»

DER PASSENDE DIALOG

Die Digitalisierung mache die Prozesse menschlicher, sagt Leclerc von Bonin. Digitale Medien können sich dem GegenĂŒber und dem Kontext, in dem die Kommunikation stattfindet, anpassen. Darin liegt ihre StĂ€rke im Unterschied zu Printprodukten, die nie wissen, in welcher Situation sie auf den Rezipienten treffen, und also einfach mal drauflosreden. Abgeleitet aus dieser Überzeugung hat Leclerc von Bonin das Corporate Design von Liip gestaltet: digital und dynamisch. Indem er Echtzeitdaten verwendet, gibt sich das Unternehmen im Dialog mit Kundinnen und Mitarbeitenden offen und flexibel. Es passt den Dialog der Situation an.

Der Verzicht auf statische Prozesse bedeutet auch einen Verzicht auf die Sicherheit in der Anwendung. Der Designer musste bereit sein, auf die komplette Kontrolle ĂŒber seinen Entwurf zu verzichten. Das Unternehmen geht das Risiko einer offenen Kommunikation ein, die auch einmal aus dem Ruder laufen kann. Hier scheinen aber die richtigen Parteien zusammenzuarbeiten: ein Designer, der sich kompetent zwischen digitalen und statischen Prozessen bewegt und so den potenziellen Widerspruch zwischen Dynamik und Effizienz löst; ein Unternehmen, das in einer sich schnell wandelnden Branche durch seine Beweglichkeit auffallen will. Und dessen Belegschaft bereit ist, am Erscheinungsbild der Firma mitzuarbeiten.