Gastbeitrag Veröffentlicht in: Werbewoche 09

Fast 4000 Besucher aus der EMEA-Region reisten am 28./29. April zum Adobe Summit in London. Im Excel Centre in den Docklands erfuhren sie mehr darüber, was das Software-Unternehmen im vergangenen Jahr Neues für seine Marketing-Cloud ausgetüftelt hatte.

Adobe ist den meisten ein Begriff wegen des legendären Adobe-Reader oder der Creative-Suite, dem viel genutzten Gestaltungstool für Graiker und Künstler. Fast ein Drittel seines Umsatzes macht das Unternehmen aber bereits mit etwas ganz anderem: der Adobe-Marketing-Cloud. Damit hat sich Adobe innert weniger Jahre ein riesiges Geschäftsfeld erschlossen. Die Marketing-Cloud hilft Grossunternehmen seit 2012, ihr Digital-Marketing zu optimieren. Sie können mithilfe der Cloud grosse Datenmengen von Kunden über alle Devices und Touchpoints erfassen und für die personalisierte Ansprache einsetzen.

Einmal jährlich lädt das Software-Unternehmen zum Adobe Summit ein. Die zweitägige Digital-Marketing-Konferenz, die jeweils in Salt Lake City und London stattindet, richtet sich an Analysten und Marketingfachleute aus aller Welt. In über 100 Sessions erfahren sie mehr über die Möglichkeiten der verschiedenen Lösungen, welche die Marketing-Cloud umfasst – und die von Adobe eingeflogenen Journalisten können für einmal ebenfalls einen Blick auf die ausgeklügelten Dashboards werfen. Teilweise fokussieren die Sessions auf bestimmte Geschäftszweige wie Automobil, Telekommunikation oder Einzelhandel.

Zugriff auf Piccadilly-Leuchtreklame

Der efektvollste Moment des diesjährigen Summits in London war wohl, als David Nuescheler, Vice President für Adobes Enterprise-Technology, von der Hauptbühne aus in Echtzeit die Coca-Cola-Werbung auf der grossen Leuchtreklame am Piccadilly Circus austauschte. Per Live-Cam ins Excel Centre übertragen, machte die Auswirkung des kurzen Klicks jedem Zuschauer klar: Mit dem Zugriff auf die Marketing-Cloud von Adobe bekommt man ein beeindruckendes Tool in die Hände.

Ein Tool, welches indessen aufgrund der hohen Kosten in erster Linie für Grossunternehmen infrage kommen dürfte. Verschiedene Adobe-unabhängige Spezialisten sprechen von sechsstelligen Beträgen für Benutzung und Implementierung der gesamten Cloud. Adobe selbst gibt Preise nur auf Anfrage bekannt, da sie von diversen Faktoren wie Einsatzbereich oder Unternehmensgrösse abhängig seien.

Cloud um zwei Lösungen erweitert

Die Adobe-Marketing-Cloud wächst laufend. Der Software-Anbieter lancierte dieses Jahr wiederum zwei neue Lösungen der damit achtteiligen Cloud: den Adobe-Audience-Manager und Adobe-Primetime. Der Audience-Manager ist eine rasch wachsende Datenmanagement-Plattform, auf der Unternehmen Zielgruppenprofile erstellen und kontinuierlich die interessantesten Kundensegmente ermitteln können. Auf der Plattform ist es unter anderem möglich, mit anonymisierten Kundendaten zu handeln. Dank der Multiscreen-TV-Plattform Adobe-Primetime können Ad-Operations-Spezialisten ihre Kampagnen in ausgesuchten Zielgruppensegmenten durchführen und Medienunternehmen sicherstellen, dass ihre Konsumenten die personalisierten Werbeeinblendungen auf den verschiedenen Endgeräten nicht öfter als von den Werbekunden gewünscht zu sehen bekommen.

Auch die bestehenden Lösungen erfahren laufend Diversifizierungen. Prominent diskutiert wurde dieses Jahr die Contribution-Analysis von Adobe-Analytics. Sie hilft, die Anomalien in riesigen Datenmengen zu verstehen. «Die Contribution-Analysis reduziert den Analyseaufwand von drei Wochen auf drei Minuten», verkündet John Bates, Senior-Product-Manager von Adobe. In einer Session zeigt er auf, wie man beispielsweise ein Video, welches öfter als erwartet angeschaut wurde, mit Zehntausenden von Daten vergleichen, die stärksten Korrelationen aufzeigen und so neue unbekannte Zielgruppen erschliessen kann, welche sich anschliessend über die ganze Cloud aktivieren lassen.

Eine weitere wichtige Neuentwicklung betrift das Marketing im Internet of Things. Der Experience-Manager (das Web-Content-Management-System dient der Erstellung von digitalen Inhalten für Web, Mobile und Social Media) und die Personalisierungslösung Adobe-Target wurden in den vergangenen Monaten auf Wearables und weitere IoT-Geräte ausgeweitet. Dabei geht es letztlich nicht mehr nur um Marketing, sondern um «Marketing beyond Marketing», so Brad Rencher, Senior Vice President von Adobes Digital-Marketing-Business, in seinem Referat: «Marketing geht heute über Marketing hinaus. Marketing verändert die Art und Weise, wie sich Unternehmen organisieren und wie sie an den einzelnen Touchpoints mit den Kunden interagieren.» Und das nicht nur, wenn sie online einkaufen, so Rencher, sondern auch, wenn sie beispielsweise die Zimmertür in einem personalisierten Hotel öffnen.

«Auch KMUs sollten die Entwicklung verfolgen»

Seit Februar 2015 bietet Liip als zertifizierter Partner Dienstleistungen für die Adobe-Marketing-Cloud an. Die Web-Agentur fokussiert dabei auf den Adobe-Experience-Manager und Adobe Analytics. Fabrice Hong, Java/AEM Architect von Liip Lausanne, ist Teil der neuen AEM-Squad bei Liip.

WW: Kann die Adobe-Marketing-Cloud nur als Gesamtlösung ihr Potenzial ausschöpfen oder würden Sie auch die Verwendung einer einzelnen Lösung empfehlen?

Fabrice Hong: Grundsätzlich ist jede einzelne Lösung unabhängig von der Cloud einsetzbar. Der Experience-Manager beispielsweise ist ein Web-CMS, welches bereits von vielen Firmen als Einzellösung verwendet wird. Er ist interoperabel mit Standard-Formaten von Systemen anderer Anbieter und kann ohne weiteren Entwicklungsaufwand mit solchen kombiniert werden. Es ist jedoch der Mehrwert von Lösungen, die Bestandteil einer Cloud sind, dass sie von Beginn weg für den kombinierten Einsatz konzipiert wurden.

Worin besteht konkret der Mehrwert von Lösungen, die für dieselbe Marketing-Cloud entwickelt wurden?

Wir können das am Beispiel eines Unternehmens betrachten, welches eine neue Promotion durchführt. Als Erstes können Autoren und Grafiker mithilfe des Experience-Managers gemeinsam attraktiven Content erstellen. Diesen Content kann das Unternehmen dann dank dem Adobe-Campaign-Manager zum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Kanal beim richtigen Kunden platzieren. Anschliessend kann es im Hinblick auf zukünftige Promotionen mittels Adobe-Analytics und/oder Adobe-Target die Effektivität der einzelnen Massnahmen auswerten.

Es handelt sich um ein umfassendes, aber auch kostenintensives Produkt. Für Firmen welcher Grösse kommt es überhaupt infrage?

Es ist schwierig generell zu definieren, für welche Kunden die Cloud einen Mehrwert bietet. Die Marketing-Cloud ist modular aufgebaut und deckt somit viele unterschiedliche Aspekte ab. Ich kann nur ein paar Beispiele geben. Was das reine Digital Marketing betrifft, verbessert das Tool den ROI der Marketingaktivitäten um einige Prozent. Diese Zusatzrendite muss den Preis des Tools kompensieren und dafür braucht es eine ausreichend grosse Kundendatenbank. Im Bereich Content-Erstellung vereinfacht das Tool die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren, weil es flexible Arbeitsabläufe und einen effizienten Publikationsprozess ermöglicht. Wenn eine grosse Anzahl an Stakeholdern in die Content-Erstellung involviert ist, kann ein Unternehmen mit dem Experience-Manager viel Zeit sparen.

Gibt es tatsächlich KMUs, welche die Marketing-Cloud ins Auge fassen sollten?

Adobe plant derzeit, auch kleinere Firmen als Kunden zu gewinnen. Eine Möglichkeit wäre, dass Adobe für KMUs weniger umfassende Versionen der verschiedenen Lösungen anbieten wird. Diese Entwicklung sollten KMUs verfolgen.