Die Revision des Bundesgesetzes ĂŒber das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) steht an. Als Business Developerin in einem Tech-KMU habe ich das revidierte Gesetz mit anderen Spezialisten öffentlich diskutiert (siehe ParlDigi Open Hearing und Medienberichte) und mir die Lage der öffentlichen IT-Beschaffungen allgemein angesehen. Mein Fazit: Wir mĂŒssen Ausnahmen durch freihĂ€ndige Vergaben reduzieren und Open Source fördern. Im Sinne der Innovation und StĂ€rke der Schweizer Tech-KMU.

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Die öffentliche IT-Beschaffung genauer unter die Lupe nehmen
_Wie dĂŒrfen die Behörden AuftrĂ€ge an private Firmen vergeben?

Das Bundesgesetz ĂŒber das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) schreibt vor, wie die Behörden Projekte ausschreiben. Das Gesetz genehmigt in seinem Artikel 21* auch Ausnahmen, nĂ€mlich wann die Behörden KEINE öffentliche Ausschreibung machen mĂŒssen (so genannte freihĂ€ndige Vergaben). GemĂ€ss der Rundschau sowie auch Untersuchungen der Universität Bern wird Artikel 21 bei der IT-Beschaffung aussergewöhnlich oft zur Anwendung gebracht. NĂ€mlich bei rund 50% der FĂ€lle. Dies ist weitaus mehr als in anderen Branchen, wo der Schnitt bei 20% liegt.

Sind rund 50% eine Ausnahme?

Als Business Developer bei der Liip bin ich besorgt ĂŒber diese Zahlen. In vielen FĂ€llen erfahren wir nicht, welche Projekte in der Pipeline der Behörden sind. Erst im Nachhinein dĂŒrfen wir nachlesen, dass Projekte vergeben wurden. Bei gewissen frage ich mich, ob wir nicht hĂ€tten mitbieten können.

Im allgemeinen VerstĂ€ndnis sollte Artikel 21 nur in Ausnahmen zur Anwendung kommen, damit ‒ wie es das Gesetz in seinem Zweck selbst sagt ‒ :

  • Die Transparenz gewĂ€hrleistet ist.
  • Gleichbehandlung der Anbieterinnen besteht.
  • Der wirksame Wettbewerb gefördert wird.

Aber sind 50% noch eine Ausnahme? Ich finde nein: Eine Ausnahme wĂ€ren 2 – 5 % der AuftrĂ€ge.

NatĂŒrlich ist auch mir als erfahrene Business Developerin bewusst, dass öffentliche Ausschreibungen einen Kostenpunkt fĂŒr die Ämter bedeuten und sie mit dem Beizug des Artikels 21 Einsparungen machen wollen. Auch fĂŒr ein KMU ist die Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung bekanntlich sehr kostenaufwĂ€ndig.

Wenn wir uns diese Gesetzgebung jedoch leisten wollen, dann mĂŒssen wir sie auch konsequent verfolgen. FreihĂ€ndige Vergaben in dieser hohen Frequenz mit “Kosteneinsparung fĂŒr die SteuerzahlerInnen” zu rechtfertigen, ist weder im Sinne des Gesetzes noch des Wettbewerbs. Hier wird am falschen Ort gespart. Es stimmt: Die Behörden sparen mehrere zehntausend Franken ein, wenn sie nicht öffentlich ausschreiben. Aber die freihĂ€ndigen Vergaben decken oft Projekte ĂŒber mehrere hunderttausende Franken bis zu Millionen ab, ohne dass verschiedene Marktteilnehmer getestet wurden.

AbhÀngigkeit bedeutet Risiko

AuffÀllig dabei ist, dass solch grossen Vergaben meist an Firmen gemacht werden, die proprietÀre Software anbieten.

Aus meiner Sicht begeben sich die Behörden dadurch in eine AbhĂ€ngigkeit gegenĂŒber Lieferanten, die mittel- bis langfristig ein Risiko bedeutet. Denn langfristige Sicherheit eines Abnehmers des eigenen Produktes verleitet auch zu Innovations-Faulheit und systemischer TrĂ€gheit des Anbieters.

Technologien entwickeln sich unheimlich schnell, verbessern sich stetig und befriedigen effizienter und einfacher BedĂŒrfnisse des End-Nutzers. Schliessen Behörden jedoch mittel- bis langfristige VertrĂ€ge in dieser Höhe ab, verbauen sie sich den Weg fĂŒr regelmĂ€ssige AbwĂ€gungen der Marktentwicklung.

Mir ist bewusst, dass staatliche oder kantonale Behörden eine gewisse KontinuitÀt brauchen. Aber diese ist auch mit Open Source Software machbar. Zudem ist ein Wechsel von einem Partner zu einem anderen viel einfacher ist und kurbelt dadurch den Wettbewerb an.

FreihĂ€ndige Vergaben scheinen die ganz grossen, international ausgerichteten Firmen zu begĂŒnstigen, die mit proprietĂ€rer Software arbeiten und dem Staat und den Kantonen Lizenzen abverlangen. Oft sogar durch Near- oder Off-Shoring ihren eigenen Profit vergrössern.

Mehr Open Source und weniger FreihÀnder

In seinem Punkt 3 der Wachstumsstrategie von Juni 2016 erklĂ€rt der Bundesrat, dass er “die Rahmenbedingungen [in der Digitalen Wirtschaft] schaffen [möchte], die Innovation und die Weiterentwicklung von Lösungen durch die Unternehmen [
] ermöglichen”.

Um diesen Punkt 3 der Wachstumsstrategie tatsĂ€chlich umzusetzen, mĂŒssen die Behörden bei Ausschreibungen zwei glasklare, grundlegende Stossrichtungen hochhalten:

  1. Fokus auf Open Source Software
  2. Weniger freihÀndige Vergaben

Open Source Software als Innovations-Treiber

Open Source Software kann heute die BedĂŒrfnisse der meisten öffentlichen IT-Ausschreibungen abdecken und bietet folgende Vorteile:

  • Open Software ist gratis und qualitativ hochstehend
  • Viele innovative KMUs und Spin-Offs der Hochschulen in der Schweiz arbeiten mit Open Source Software. Sie alle sind fĂ€hig, technologisch stabile und Ă€usserst innovative Lösungen fĂŒr die Behörden und End-Nutzer, sprich SteuerzahlerInnen, anzubieten.
  • Da Open Source Software auf der Philosophie des “geteilten Wissens” basiert, arbeiten indirekt grosse und starke Gemeinschaften an der Verbesserung der Software. Somit werden Akteure, die Open Source Software nutzen, indirekt von Tausenden von Entwicklern unterstĂŒtzt, um in ihrer Digitalisierung schneller, sicherer und innovativer zu sein.

Reduktion der FreihÀnder als Wettbewerbs-Treiber

Die hohe Anzahl der Ausnahmen muss eingeschrÀnkt werden. Im Gegensatz zur Erweiterung des Artikels 21, der gewisse Ausnahmen zusÀtzlich erleichtert, muss es ein Anliegen der Parlamentarier und Verwaltungen sein, dass ein regerer Wettbewerb entsteht. Dies geschieht jedoch nur, wenn weniger freihÀndige Ausschreibungen passieren.

Fazit: So verbessern wir die öffentliche IT-Beschaffung

Zusammengefasst: Durch mehr Open Source und weniger FreihĂ€nder stĂ€rken wir unsere eigene Volkswirtschaft. Denn einerseits fördern wir damit Wettbewerb und Innovation, andererseits investieren wir dadurch die staatlichen Ausgaben in den RĂŒckgrat unserer Wirtschaft: die KMU.