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Mit engage.ch können Jugendliche ihre Anliegen in die Bundespolitik einbringen, ohne einer Partei anzugehören. Dank der Mithilfe von 11 NationalrÀten.

Einen direkten Kanal ins Parlament zu etablieren, daran arbeiten weltweit viele CivicTech-Initiativen. Mitunter mit kreativen Mitteln. So haben die GrĂŒnder der Plattformen Democracy OS und MiVote sogar je eine eigene Partei geschaffen, um nach erfolgreichem Einzug in das argentinische und australische Parlament direkt digital mit ihren WĂ€hlern kommunizieren zu können. Es geht aber auch anders. In der Schweiz hat der Dachverband der Jugendparlamente (DSJ) mit UnterstĂŒtzung der Agenturen Jung von Matt und Liip die Plattform engage.ch kreiert. Mit dieser politischen Crowdsourcing-Plattform sollen Anliegen von jungen BĂŒrgern zwischen 14 und 25 Jahren gesammelt und an die relevanten EntscheidungstrĂ€ger ĂŒbergeben oder diskutiert werden. Bei jedem Projekt sind Beschreibung und Stand der Umsetzung ersichtlich. Einige Erfolgsgeschichten auf Gemeindeebene gibt es bereits: In RĂŒschlikon und Kilchberg soll ein Skaterpark entstehen und ein Fussballplatz – ebenfalls in RĂŒschlikon – wird demnĂ€chst eine Flutlichtanlage erhalten. Beide Vorstösse haben UnterstĂŒtzung in Form von “Likes” im vierstelligen Bereich generiert. FĂŒr Lokalpolitik in dieser Grössenordnung durchaus vorzeigbare Zahlen.

Junge NationalrĂ€te werden zu Vehikeln fĂŒr Anliegen von Jugendlichen

Doch auch die grossen politischen Fragen interessieren die jungen Menschen: “ Mehrere Studien zeigen aber, dass Jugendliche auf nationaler Ebene mehr Möglichkeiten zur Mitwirkung möchten und sie sich fĂŒr Politik auch am stĂ€rksten auf nationaler Ebene interessieren”, schreiben die Autoren Melanie Eberhard und Sebastian Niessen in ihrem internen Bericht zu engage.ch. FĂŒr Jugendliche, die keine Parteibindung eingehen wollen, gibt es nur wenig politische Partizipationsmöglichkeiten. Das will engage.ch Ă€ndern.

Premiere feierte die nationale DSJ-Kampagne “VerĂ€ndere die Schweiz 2017” am 12. Juni: Dann kommunizierten elf junge Nationalrätinnen und Nationalräte, unter anderem Lukas Reimann (SVP), Mattea Meyer (SP) und Damian MĂŒller (FDP), welche der ĂŒber  700 eingereichten Ideen sie in echte politische Vorstösse umgiessen werden. FĂŒr die Kampagne konnten alle ParlamentarierInnen der grossen Kammer gewonnen werden, die unter 35 Jahre alt sind. Ein Erfolg fĂŒr den Dachverband der Jugendparlamente.

Alle NationalrÀte unter 35 Jahre verpflichteten sich, eine Idee von engage.ch als politischen Vorstoss einzubringen.

QualitĂ€t geht vor Zahl der „Likes“

Auf engage.ch bietet sich einem ein bunter Strauss an WĂŒnschen. Es zeigt sich, dass auch die Jungen nicht vor bisweilen militanter Polemik gefeit sind. So hat die Idee, die Schweiz solle komplett mit der “Kriegsorganisation” NATObrechen, ĂŒber 600 UnterstĂŒtzende gewonnen. Sie ist der Wunsch von Autor “Jonas”. Doch keine der erfahrene JungpolitikerInnen konnte sich fĂŒr die radikale Idee erwĂ€rmen, ist zu bezweifeln. Die Zahl der “Likes” allein war afgrund der einfachen Manipulierbarkeit der Klicks nĂ€mlich kein relevantes Kriterium. “Ich entscheide mich nach inhaltlichen Kriterien, nicht anhand von Likes”, sagt etwa Nationalrat CĂ©dric Wermuth. Er ist ein beliebter Adressat fĂŒr die Anliegen der Jugendlichen. Eine Berufsschulklasse aus dem Kanton Bern wĂŒnschte sich von ihm den Einsatz fĂŒr bessere ArbeitsbedingungenfĂŒr das Pflegepersonal. Der Aargauer Politiker hat dies prompt zu seinem Steckenpferd erkoren und wird einen entsprechenden Vorstoss vorbereiten. SVP-Nationalrat Lukas Reimann bringt wieder die Abschaffung der Heiratsstrafe ins Spiel, eine Idee von Joel Kaufmann. Reimann tat sich schwer bei der Selektion, denn es gab viele kreative und brauchbare Forderungen:“Ich möchte mehrere, die persönlich an mich gerichtet waren, auch weiterverfolgen und mit den Ideengebern in Kontakt treten.“ Auch fĂŒr ihn war die Zahl der Likes nicht ausschlaggebend. SP-NationalrĂ€tin Rebecca Ruiz wird sich fĂŒr einen stĂ€rkeren Schutz von intersexuellen Kindern stark machen, ein Anliegen von Diego Esteban.

WĂŒnsche von links bis rechts

Welches waren die populĂ€rsten Themen bei den Jungen? Hoch im Kurs ist wenig ĂŒberraschend auch die Legalisierung von Marihuana. Gleich mehrmals ist diese Forderung auf der Plattform aufgefĂŒhrt. Dabei ist diese liberale Haltung selbst bei den Jugendlichen nicht selbstverstĂ€ndlich. Vor zehn Jahren stimmte die Jugendsession Nein zur einer Legalisierung des Cannabis-Konsums. Könne Hanf straffrei konsumiert werden, wĂŒrden Jugendliche spĂ€ter möglicherweise hĂ€rtere Drogen konsumieren, lautete damals die BegrĂŒndung des tagenden Jugendparlaments. Neben der “Ehe fĂŒr alle” oder gĂŒnstigeren ÖV-Billeten fĂŒr Lehrlinge sind noch weitere Forderungen mit eher linksliberaler Ausrichtung zu finden. Doch nicht nur. “Es sind Anliegen aus dem gesamten politischen Spektrum vertreten”, schreiben die Macher von engage.ch in ihrer Evaluation. So werden unter anderem auch eine strengere Migrationspolitik und die “Wehrpflicht fĂŒr alle” gefordert.

Junge Personen von 14 bis 25 Jahren aus der ganzen Schweiz haben auf engage.ch ihre politischen Anliegen formuliert.

Junge Personen von 14 bis 25 Jahren aus der ganzen Schweiz haben auf engage.ch ihre politischen Anliegen formuliert.

Vorbilder fĂŒr eine Plattform wie engage.ch gibt es in Bezug auf die direkte Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen und politischen MandatstrĂ€gerInnen im deutschsprachigen Raum wenige. Lediglich bei abgeordnetenwatch.de gehört die “ResponsivitĂ€t” zum guten Ton, sprich: Bundesparlamentarier nehmen Stellung zu den Fragen der User. Aber bei kaum einem Netzwerk verpflichten sich VolksvertreterInnen die Ideen Jugendlicher direkt in den politischen Prozess einzuschleusen. Umso interessanter wird zu verfolgen, wie sich das Projekt engage.ch weiter entwickelt. Hier wird transparent, wie ernst es den NationalrĂ€tInnen mit den Ideen junger Leute wirklich ist. Dank des Internets lĂ€sst sich die politische Laufbahn eines eingereichten Anliegens mittels weniger Klicks jederzeit nachvollziehen.

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